Unesco kürt Glashütte Gernheim zum Kulturerbe
LWL-Industriemuseum freut sich über Aufnahme in bundesweite Liste
Das Expertenkomitee „Immaterielles Kulturerbe“ bei der deutschen Unesco-Kommission hat die Glashütte Gernheim als immaterielles Kulturerbe auf nationaler Ebene bewertet, gemeinsam mit sechs weiteren Kulturformen. Ein unabhängiges Expertenkomitee folgte der Argumentation der Bewerber, „das implizite Wissen der händischen Glasherstellung durch Praxis, Vernetzung, Dokumentation und Weiterentwicklung zu bewahren.“ Dr. Katrin Holthaus, Leiterin des LWL- Industriemuseums Glashütte Gernheim, freut sich über die Auszeichnung: „Das ist für die gesamte Glas-Community in Deutschland ist eine große Anerkennung.“ Glaspraktiker und Historiker aus Bayern, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen hatten sich zu einer gemeinschaftlichen länderübergreifenden Bewerbung zusammengeschlossen, um die kulturelle Ausdrucksform der Glasfertigung mit Pfeife und anderen Werkzeugen vor dem Verlust zu bewahren. In ihrer Bewerbung hoben die Fachleute insbesondere die arbeitsteilige Fertigungsweise der manuellem Hohl- und Flachglasherstellung am Schmelzofen hervor, die seit mehr als 2000 Jahren mit der Glasmacherpfeife und anderen Werkzeugen aus Metall und Holz betrieben wird. Das LWL will das Erbe erhalten und bewahren und die Ausbildung zum Glasmacher sichern. Außerdem plädiert man für die Einrichtung eines Studienganges „Glasgestaltung“ mit umfassenderem Praxisanteil. Wichtig sei auch die Zusammenarbeit zwischen Museen, Designern und Hochschulen, um innovative Anwendungen und Produkte zu entwickeln.
Glashütte Gernheim
Der Glasturm in Ovenstädt-Gernheim ist eines der touristischen Aushängeschilder im Mühlenkreis. Zwischen 1812 und 1877 wurde in dem kegelförmigen Backsteinturm am Steilufer der Weser die Kunst des Glasmachens praktiziert. Viele Mundblashütten stellten hier früher Glas für den Weltmarkt her. In den meisten Fabriken sind die Feuer längst erloschen, doch nicht so in Gernheim. Neben dem Turm aus dem Jahre 1826, der als Kamin für den Schmelzofen und als Arbeitsraum für die Glasmacher diente, blieben in Gernheim zwei Zeilen mit Arbeiterhäusern, das ehemalige Fabrikantenhaus, die Verwaltung, ein Wirtshaus, die Fabrikschule und die Korbflechterei (dort wurde die zerbrechliche Glasware für den Transport verpackt) erhalten. 1998 wurde in diesen Gebäuden ein Museum eröffnet, das die Gernheimer Glasproduktion dokumentiert. Neben üppig dekoriertem Prunkglas zeigt die Gernheimer Ausstellung eine umfangreiche Sammlung von Alltags- und Gebrauchsglas. Die „Stationen der Glasherstellung“ vermitteln dem Besucher die wichtigsten Arbeitsschritte der Produktion in einem Mundblasbetrieb vom Rohstoff bis zum versandfertigen Produkt. Die Abteilung „Glasgeschichte/n“ zeigt wichtige Stationen der sozialen und technischen Entwicklung der Glasindustrie vom frühindustriellen Zeitalter bis in die Gegenwart. Wie vor über hundert Jahren wird heute in Gernheim wieder Glas produziert. Im alten Glashüttenturm wurde nach alten Plänen ein Schmelzofen rekonstruiert, an dem die historischen
Techniken neu aufleben. Die Besucher können Glasmachern und Glasgraveuren über die Schulter schauen. Ihnen wird gelegentlich sogar die Möglichkeit geboten, selbst Hand (oder Mund) anzulegen („Glasmachen am Freitag“).