Altersarmut breitet sich aus
Fast 1900 Rentner beziehen Grundsicherung
Die Angst vor Armut im Alter greift weiter um sich. Zwar können die meisten Rentner aktuell durch eine ausreichende Rente ihren Lebensabend genießen, für einige bedeutet die Zeit im Altersruhestand allerdings auch eine Zeit in Armut und Isolation. Dass das Schreckgespenst Altersarmut in Zukunft weiter um sich greifen wird, ist durch den demografischen Wandel bereits abzusehen.
Man stelle sich das typische Rentnerehepaar vor. Oma Inge und Opa Walter haben früh geheiratet und früh gearbeitet. Als Jugendliche einen Job gelernt, der ein Leben lang ein durchschnittliches bis niedriges Einkommen erzielt hat. Harte Arbeit war es trotzdem und viele Stunden. Inge zog einige Jahre ihres Ehelebens die Kinder auf, arbeitete danach nur noch in Teilzeitjobs, manchmal auch nur Minijobs. Einmal raus aus dem Job, war es schwer wieder wieder einzusteigen. Die Aufnahmebereitschaft war nicht groß. Gearbeitet hat sie trotzdem. Zählt man die Stunden von Haushalt, Essen kochen und die Versorgung der Kinder hinzu, vielleicht sogar mehr als ihr Ehemann. In einem Alter von 65 Jahren möchte sich das Paar nun in den Ruhestand begeben. Den Lebensabend nochmal richtig genießen, ohne den Stress mit Arbeit und Kindern, ohne die Sorgen um die Finanzierung des Eigenheims. Doch dem ist weit gefehlt. Walter bekommt trotz langer Beitragsjahre nur eine geringe Rente. Leider war der Lohn, für den er hart gearbeitet hat eher gering. Die Höhe seine Rente bewegt sich knapp über der der Grundsicherung. Inges Teil der Rente ist eigentlich nicht erwähnenswert. Durch Kindererziehung und ein Arbeitsleben mit Teilzeit -und Minijobs, kommen bei ihr nur ein paar Hundert Euro zusammen. Das Haus ist zwar abgezahlt, Heizung, Nebenkosten und Krankenversicherung gehören aber weiter zu den monatlichen Ausgaben. Das Paar lebt am Existenzminimum. Ein schöner Urlaub, Essen gehen oder Theaterbesuche gehören einem Luxus an, den sich die beiden Rentner nicht leisten können. Nun geht es eher darum, wie viel Geld für Lebensmittel und medizinische Versorgung bleiben. Ein Geschenk für das Enkelkind ist leider nicht mehr drin. Geburtstagsbesuche entfallen. Man will ja nicht als geizig gelten. Soziale Verarmung ist vorprogrammiert.
Wer im Niedriglohnsegment arbeitet, oder Ausfallzeiten und Teilzeitjobs in seinem Lebenslauf zu verzeichnen hat, kann sich schnell in ähnlicher Lage befinden.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund-Kreisverband Minden-Lübbecke warnte schon 2012 davor, dass viele Vollzeitbeschäftigte in Minden künftig von Altersarmut bedroht seien und legte dazu erstmals differenzierte Daten zu den Verdienstunterschieden im Kreis vor. Demnach verdiente im Jahr 2010 jeder zweite Vollzeitbeschäftigte weniger als 2.606 Euro Brutto im Monat, wobei Männer ein deutlich höheres Einkommen als Frauen erzielten. Im Mittel verdienten sie etwa 609 Euro mehr. Nach gewerkschaftlicher Einschätzung liege dies teilweise immer noch an einer Lohndiskrimierung von Frauen. Vollzeitbeschäftigte ohne abgeschlossene Berufsausbildung verdienten im Schnitt 2.244 Euro, mit Abschluss bekamen sie etwa 206 Euro mehr. Insgesamt liegt der Kreis damit deutlich unter dem Einkommen der anderen westlichen Länder. Die Angst vieler Arbeitnehmer im Alter mit der Rente nicht auszukommen, ist daher nicht unbegründet. Insbesondere Frauen und Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung sind künftig von Altersarmut bedroht. Laut DGB droht die Zahl in Zukunft deutlich anzusteigen. Durch die geplante Senkung des Rentenniveaus auf 43 % müsse ein Arbeitnehmer mit einem monatlichen Einkommen von 2.500 € etwa 35 Jahre in die Rentenkasse einzahlen, um mehr als Grundsicherung im Alter zu bekommen. Bei einem Monatseinkommen von 2.200 € droht bei Renteneintritt immer noch Sozialhilfebedürftigkeit, auch wenn 40 Jahre gearbeitet und Rentenbeiträge eingezahlt wurden. 2010 verdienten mehr als die Hälfte aller vollzeitbeschäftigten Frauen im Kreis weniger als 2.200 € brutto, ebenso 50 Prozent aller Vollzeitbeschäftigten ohne Berufsabschluss.
„Im Februar 2016 haben 1.893 Personen Leistungen der Grundsicherung nach dem 4. Kap. SGB XII erhalten, die über 65 Jahre alt sind. Im Februar 2006 waren es 1.125 Personen“, benennt Dr. Anna Berlit-Schwigon vom Kreis Minden-Lübbecke die aktuellen Zahlen. Die Grundsicherungsleistung setze sich aus dem Regelbedarf und angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung zusammen. „Der aktuelle Regelbedarf für eine Einzelperson beträgt derzeit 404,00 €“, führt Dr. Berlit-Schwigon weiter aus. Ist ein Rentner also Grundsicherung angewiesen, lebt er auf Hartz 4-Niveau. Mit einer Ausnahme: Freibeträge für Nebenjobs gibt es nicht. Rund 400 Euro müssen fürs Leben reichen. „Menschen, die mit ihrer Rente knapp über dem Grundsicherungsbetrag liegen, sind noch viel ärmer dran“, äußert sich ein Sozialarbeiter, der namentlich nicht genannt werden möchte. Denn liege man über dem Satz, bekomme man keine Unterstützung vom Staat, müsse aber trotzdem Miete, Heizung und Krankenversicherung bezahlen, die sonst der Staat übernimmt. Im Endeffekt liege ein solcher Rentner damit bereits unter dem Existenzminimum Da solche Personen keine staatliche Hilfe beziehen und trotzdem in Armut leben, gebe es hier bereits eine hohe Dunkelziffer. Anzunehmen ist, dass daher viele Rentner trotz hohen Alters weiterhin Nebenjobs verüben.