Die bürgerliche Mitte im Visier der Rechten
Publizist Christoph Giesa zeigt die Strategien der Neuen Rechten auf
„Die demokratische Mitte hat noch nicht verstanden, dass sie etwas verlieren kann“ – für den Autoren und Publizisten Christoph Giesa steht fest, die Ideen aus dem rechten Lager sind bereits viel weiter in die bürgerliche Mitte eingesickert, als man glauben möchte. Und nicht nur das: Dahinter steckt eine Strategie der „Neuen Rechten“, um ihr Gesellschaftsmodell zu etablieren.
Christoph Giesa ist Autor des Buches „Gefährliche Bürger“. Sein Buch trägt den Untertitel „Die Neue Rechte greift nach der Mitte“. Er analysiert darin gemeinsam mit Liane Bednarz wie die neuen Rechten arbeiten, welche Strategien und welche Politik sie verfolgen. „Vor vier bis fünf Jahren konnte man diese Leute noch auf zehn Meter gegen den Wind riechen und als Spinner enttarnen“, blickt er zurück. So einfach sei es mittlerweile nicht mehr. „Diese Leute zu widerlegen ist vielfach schwieriger, als die alten Neonazis zu widerlegen“, sagt er.
Der Aufstieg von Pegida und ihren Ablegern, von AfD und von Rechtspopulisten – auf rechtes Gedankengut stößt man seit einiger Zeit nahezu täglich. Ob Eurokrise und Flüchtlinge, viele Themen werden instrumentalisiert, verstärkt im Internet. Diskurshoheit, das habe sich die Neue Rechte als Ziel gesetzt. „Es geht ihnen nicht zuerst um ein Wahlergebnis von 15 Prozent, sondern darum, die Gespräche und Themen an den Stammtischen zu dominieren“, erklärt Giesa.
Dabei werde systematisch diskreditiert: „Angela Merkel schadet dem deutschen Volk, der Bundestag ist nur noch ein Abnickorgan, das Verfassungsgericht bricht das Recht und dazu noch die Lügenpresse“, zählt Giesa beispielhaft auf. „Sie prophezeien den Niedergang. Die gezielte Diskreditierung ist der Versuch, dafür zu sorgen, dass die Leute nach ihnen rufen.“
Auch der gezielte Tabubruch gehört zu den Strategien: „Das wird man doch wohl noch sagen dürfen“, heißt es beispielhaft. „Sie wollen Tabus abschaffen, aber keine tabulose Gesellschaft“, stellt Christoph Giesa klar. Was Tabu ist, das entscheiden sie selber und nicht die Gesellschaft, unterstreicht er.
Waren es früher die Neonazis in Springerstiefeln mit ihren lauten Parolen seien es heute die Bürger in Karo-Sakkos, die von gefährdeten zu gefährlichen Bürgern mutieren und ihren Zorn artikulieren und Minderheiten diskriminieren – gut gelenkt von rechten Scharfmachern im Hintergrund. „Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit wird bewusst so formuliert, dass sich die Menschen nicht mit ihrem Pizzabäcker solidarisieren“, klärt Christoph Giesa auf. Alle Menschen seien völlig gleich, aber dennoch unterschiedlich, werde argumentiert. „Es gebe doch auch verschiedene Apfelsorten oder Hunderassen, es wäre doch schlimm, wenn sich alles vermischen würde, wenn alles gleich wäre“, lautet die Argumentation der Neuen Rechten, die ihrer Logik schlussfolgernd die wahren Antirassisten sind, verdeutlicht Giesa. „Doch es geht ihnen nicht um das Individuum, sie wollen selbst entscheiden“, warnt er. Das Ziel ist sei ein antiwestliches und antiliberales, homophobes und fremdenfeindliches Gesellschaftsmodell, erklärt Giesa.
Der Rechtsstaat müsse die Bürger schützen, es müsse mehr gegen die Hetze im Internet getan werden, sagt Giesa. Und man müsse wachsam bleiben. „Ich bin nicht komplett optimistisch, wenn es um die Mitte der Gesellschaft geht“, zeigt er sich allerdings ernüchtert.(mh)
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