Liebe ist umsonst
In diesem Jahr habe ich meiner Frau nichts in den Stiefel gesteckt. Da war so viel los, in den letzten Tagen, der Kopf so voll, ich war unruhig und abgehetzt. Nun war Nikolaustag, und ich wollte an nichts denken, alles auf mich zukommen lassen, mich nicht verantwortlich fühlen. Nicht auch noch schenken müssen, nur weil Nikolaus ist. Apfel, Nuss und Mandelkern – gerade diese alten Rituale will ich doch nicht mehr. Schon beim gemeinsamen Frühstück habe ich ein schlechtes Gewissen. Ich gräme mich und denke, dass sie ganz bestimmt enttäuscht ist. Dass sie sich vergessen fühlt, weil der Stiefel leer blieb. Vielleicht ist es ein Zeichen dafür, dass die Liebe sich abnutzt, blasser wird?
Diese Gedanken gingen mir durch den Kopf. Sie huschten als kleine Schatten über den Tag, der trotzdem sehr schön wurde. Mit sehr viel Zeit miteinander, viel mehr als in den letzten Wochen. Ruhige, innige Stunden. Mit einem Abendessen und einer guten Flasche Wein. Beinahe ungetrübtes Glück.
Spät abends finde ich einen Apfel auf dem Kopfkissen. Und eine Walnuss. Unter der Bettdecke ihren alten Lieblingsteddy mit einer neuen roten Schleife um den Hals. Mein Herz schlug laut, ich freute mich wie ein Kind. „Sieh mal, der Nikolaus hat mir was gebracht!“ Dann Verlegenheit. „Das brauchst du doch nicht – ich weiß doch auch ohne Geschenke, dass du mich lieb hast.“ „Ich weiß“, sagte sie. „Gerade deswegen.“
Liebe ist umsonst. Ja, das habe ich nun begriffen. Oder doch nicht so wirklich? Entscheiden Sie selbst, denn ich hatte auch einen Wunschzettel für das Weihnachtsfest. Sind Wünsche denn zeitgemäß, in einer Phase, in der viel darüber geklagt wird, wie schlecht es manchem von uns angeblich geht. Ich hatte vor ein paar Tagen solch ein Gespräch. Und es ging dieser Person wirklich nicht gut. Nicht gesundheitlich und auch dadurch bedingt nicht materiell. Natürlich gibt es auch in unserem Land Probleme, vor allem für Menschen, die arbeitslos sind. Aber: Niemand muss sich zum Beispiel Sorgen darüber machen, ob er sich am nächsten Tag etwas zu essen kaufen kann. Das ist in dem größten Teil der Welt nicht so. In jeder Stunde auch dieses Tages sterben mehr als tausend Kinder an Fehlernährung. Zwei Millionen Kinder arbeiten weltweit in der Prostitution, um sich und ihre Familien zu ernähren. Und Millionen von Menschen sind zurzeit auf der Flucht. Viele von ihnen kommen in unser Land.
Ich wünsche Ihnen und mir, dass es einen Engel der Gerechtigkeit im Jahr 2016 gibt, der uns täglich daran erinnert, mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln alles zu tun, um solch erbärmliches Leid aus der Welt zu schaffen. Möge er in unserem Herzen die Einsicht schenken, dass jeder Mensch auf dieser Erde Anspruch auf ein würdiges Leben hat.
Ich wünsche Ihnen und mir ein friedvolles und gutes neues Jahr, Tage in denen wir uns immer wieder besinnen, was für unser Leben wirklich wesentlich ist. Möge der weihnachtliche Glanz unsere Seelen berührt haben und auch im kommenden Jahr unsere Wege erhellen, damit die Botschaft der Engel vom Frieden auf Erden auch durch uns in die Welt hinein gelebt wird. Ich wünsche Ihnen und unserer Stadt, dass wir das alte Jahr mit all seinen Facetten hinter uns lassen können. Etwas Neues tut sich vor uns auf, wie ein Zimmer eines Hauses, welches wir betreten. Die Tür steht schon einen Spalt weit auf. Was wird in diesem neuen Raum sein? Wir wissen es nicht. Gehen wir mit Hoffnungen in den neuen Zeitabschnitt. Ich wünsche uns allen, dass ein tolles, gesundes und friedvolles Jahr vor uns liegt. Ein Jahr, in dem sich etwas zum Guten für uns, für die Stadt und für das Miteinander in der Welt bewegt. Ein Jahr, in welchem wir Schritte in ein schönes, neues Zimmer tun, in welchem wir uns wohl fühlen. Alles Liebe und Gute für 2016.
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