Mehr als nur Deutsch lernen
MiKu besucht Einstiegskurs für Flüchtlinge
Sachte nähert sich die junge Frau der Apotheke, tastet sich hinein. Sie streicht den schwarzen Pony zur Seite, der unter ihrem weißen Kopftuch hervorlugt. „Guten Tag“, murmelt sie dem Mann hinter der Kasse zu. Sie verschluckt ein paar Wörter, als sie ihn nach Medikamenten fragt. Ihr Sohn sei krank. Schnupfen habe er. Und Fieber.
Die junge Frau heißt Suzan und ist 20 Jahre alt. Der Mann hinter der Kasse, Mahmut, ist zwei Jahre älter als sie. Ihre Namen sind echt, ihr Dialog ist es nicht. Im realen Leben hat Suzan keinen kranken Sohn – und Mahmut ist kein Apotheker. Suzan und Mahmut simulieren das Gespräch in der Apotheke nur. Die beiden sind syrische Flüchtlinge und zwei von 15 Teilnehmern im Einstiegskurs Deutsch für Flüchtlinge.
Seit dem 04.11. bietet das Profilingbüro Glaser am Klausenwall Deutschkurse für Flüchtlinge an. Das neue Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz macht’s möglich: Asylbewerber mit guten Bleibechancen sollen schnellstmöglich in den Arbeitsmarkt integriert werden und können freiwillig Sprachunterricht nehmen. Finanziert wird das Ganze von der Arbeitsagentur Minden. Die Einstiegskurse für Flüchtlinge bei Glaser umfassen 320 Schulstunden und erstrecken sich über acht Wochen, unterrichtet wird jeden Wochentag von 8 bis 16 Uhr. Die Teilnehmer kommen vorwiegend aus Syrien, Irak und Eritrea – wegen der prekären Verhältnisse in ihren Ländern ist es wahrscheinlich, dass sie als Flüchtlinge anerkannt werden. Sie müssen zwischen 15 und 65 Jahre alt und als Asylbewerber registriert sein. Viele von ihnen kommen aus den Notunterkünften in Häverstädt und Kleinenbremen, aber auch Flüchtlinge aus Petershagen oder Porta treten jeden Morgen den „Schulweg“ an. Mit dem Bus, mit dem Fahrrad oder in Fahrgemeinschaften mit ihren Lehrern. Das Profilingbüro Glaser will den Flüchtlingen die Eintrittsphase in Deutschland erleichtern, sie in speziellen Lebenssituationen unterstützen und ihren Alltag strukturieren. Wie stellt man sich persönlich vor, wie füllt man ein Formular aus, was sagt man zur Supermarktverkäuferin – der Lernstoff orientiert sich am täglichen Turnus der Neuankömmlinge. Unterrichtet werden sie von je einem Deutschlehrer und einem Dolmetscher. Ein System, das sich bewährt hat.
Leila Miaoui ist eine von fünf Übersetzerinnen im Profilingbüro. Die gebürtige Tunesierin lebt seit sieben Jahren in Minden und musste die Sprache ihrer neuen Heimat selber von der Pike auf lernen. „Sie ist ein Vorbild für gelungene Integration. Die Flüchtlinge sehen an ihr, was für sie in diesem Land alles möglich ist, wenn sie sich bemühen“, meint „Pity“ Rolfes. Der 56- Jährige hat ein Lehramtsstudium in der Tasche und arbeitete jahrelang als Sozialarbeiter, heute ist er einer von sechs Deutschlehrern bei Glaser. Leila und „Pity“ bilden ein Team. Sie spricht die Sprache der Schüler, er ist unterrichtserfahren. Ihren Kurs betreuen die beiden inzwischen in der dritten Unterrichtswoche. In dieser Woche werden Arztbesuche und Behördengänge simuliert. Konzentriert lauschen die rund 15 Schülerinnen und Schüler ihren Lehrern.
Kleine Kinder, junge Frauen und Männer, gestandene Eltern und Großeltern – „alle sind engagiert und wollen lernen“, betonen Leila und „Pity“ einhellig.
Die meisten ihrer Schützlinge stammen aus Syrien, aber auch drei junge Eritreer sitzen in der Klasse. Über die einzelnen Schicksale der Teilnehmer wissen „Pity“ und Leila nicht viel.
Sie wollen auch nicht nachhaken. „Viele haben sicher die klassischen Fluchterfahrungen gemacht, sind auf baufälligen Booten oder LKWs nach Europa gekommen, haben Familienmitglieder verloren oder zurücklassen müssen. Wir wollen sie damit aber nicht konfrontieren. Der Unterricht soll den Flüchtlingen Spaß machen. Die Menschen sollen an die Zukunft denken und ihre Vergangenheit hinter sich lassen“, erklärt „Pity“. Der Unterricht ist auch für die Lehrer eine Herausforderung, variieren die Bildungsniveaus der Schüler doch sehr stark.
„Wir haben Ökonomiestudenten, Geschäftsmänner und sogar Dozenten in unseren Kursen. Aber auch Teilnehmer, die kaum lesen und schreiben können“, sagt Leila.
Das mache es schwierig jeden Einzelnen „mitzunehmen“. Alle Schüler aber eine ihr Engagement und Willen. In den ersten vier Wochen greifen die Dolmetscher noch oft in den Unterricht ein, kommunizieren mit vielen Teilnehmern über ihre Muttersprache. Die Eritreer beherrschen Schulenglisch, mit den Syrern und Irakern spricht Leila Arabisch. „Für die arabisch Sprechenden ist die Umstellung auf Deutsch schwer. Sie benutzen nicht nur andere Schriftzeichen, sondern schreiben auch von rechts nach links“, erklärt Leila. Die 31-Jährige ist für die Flüchtlinge das Bindeglied zwischen alter und neuer Heimat. 40 Prozent der Mitarbeiter bei Glaser haben Migrationshintergrund. Eine Belegschaft, so heterogen wie die Klassenverbände. Das erleichtert den Unterrichtseinstieg für die Flüchtlinge in den ersten Wochen. Fragt man sie, wie ihnen der Unterricht gefällt, recken sie ihre Daumen in die Höhe. Und Leila? Die sei super, „einfach super“.
Im Laufe der acht Wochen ziehen sich die Dolmetscher nach und nach zurück, spätestens in der zweiten Hälfte sollen die Flüchtlinge vermehrt auf Deutsch kommunizieren. Untereinander, mit dem Lehrer. Mit dem Arzt, den Behörden, dem neuen Arbeitgeber, …
Mahmut stellt dem Kurs sein Plakat vor. Das Verb „haben“ sollte konjugiert werden. „Ich hache. Du hachst…“, Mahmut gerät ins Stocken. Leila tippt mit ihrem roten Filzstift aufs Whiteboard: „Ich habe. Du hast…“