Das große Interview zur Bürgermeisterwahl am 13. September
Schuldenschnitte, Steuererhöhungen und Co.
Der Bürgermeisterwahlkampf in Minden neigt sich dem Ende zu. Am 13. September schreiten die Wahlberechtigten an die Urnen – falls sie ihre Kreuzchen nicht bereits per Briefwahl gemacht haben. Vier Bewerber bemühen sich um den Chefsessel im Mindener Rathaus: Michael Jäcke, Kandidat der SPD. Ulrich Stadtmann, Bürgermeisterkandidat eines breiten Bündnisses aus CDU, Grünen, FDP, BBM und Piraten. Der parteilose Jürgen Schnake, legitimiert durch 314 Unterstützerunterschriften. Und Matthias Beier, ins Rennen geschickt von der UB-UWG.
Im MiKu-Interview standen die vier Kandidaten unserem Redakteur Dennis Salge Rede und Antwort.
Minden Kurier: Sehr geehrte Herren, zum Einstieg: Was schätzen Sie am meisten an Minden?
Michael Jäcke (MJ): Das bürgerschaftliche und unternehmerische Engagement der Mindener. Und die Stadt bietet einen tollen Mix aus städtischem Flair und viel Grün.
Matthias Beier (MB): Als Kreisstadt verfügt Minden über ein sehr großes Umland. Mal ist die Innenstadt leer, mal ist sie proppenvoll. Mit meinem Projekt Westfalen-Arena wäre die Innenstadt an den Wochenenden sicher noch voller.
Ulrich Stadtmann (US): Minden ist eine charmante, wunderschöne Stadt. Die norddeutsche Tiefebene, die Berge, die Weser mitten in der Stadt – eine tolle Gegend, auch um seine Kinder großzuziehen. Leider bleibt die Stadt aktuell unter ihren Möglichkeiten.
Jürgen Schnake (JS): Mir gefällt die Größe der Stadt. Alles ist fußläufig erreichbar. Von der Soziologie ist Minden sehr interessant. Legt man es drauf an, kann man innerhalb eines Jahres alle interessanten Personen in der Stadt kennenlernen – das schafft man in keiner Großstadt.
Spricht man in Minden mit den Bürgern, stellt man häufig mangelndes Interesse fest an der Lokalpolitik bzw. der Wahl. Wie wollen Sie als Stadtoberhaupt wieder mehr Bürgernähe herstellen?
US: Seitdem die Plakate hängen und Informationsstände in der Stadt haben, werde ich deutlich häufiger erkannt. Ich werde aktiv angesprochen und Bürger tragen mir ihre Anliegen vor. Ich würde einmal im Monat eine Bürgersprechstunde anbieten. Der Bürgermeister sollte die Schnittstelle zwischen Verwaltung und Bevölkerung sein. Den Bürgern sollte das Rathaus als Service-Einrichtung zur Verfügung stehen.
MB: Ich möchte alle zwei Monate eine öffentliche Veranstaltung anbieten, eine Ideenschmiede unter dem Motto ‚Minden – Bürger für die Stadt – Stadt für die Bürger‘. Dort können die Menschen ihre Vorschläge einreichen und schauen, ob sich etwas verbessert hat.
JS: Man kommt im Jahr 2015 nicht mehr weit damit, hin und wieder seine Bürotür zu öffnen. Man braucht permanent zugängliche Kanäle, wie soziale Netzwerke. Schon vorm Wahlkampf habe ich sehr positives Feedback bekommen. Die 300 erforderlichen Unterstützerunterschriften für meine Kandidatur habe ich mir alle mit meinem Stand am Scharn geholt. Ich sehe kein Problem, die Menschen zu erreichen.
Die Flüchtlingsdebatte ist omnipräsent und bewegt die Mindener. Wie kann man die finanziellen und logistischen Herausforderungen meistern bei der Unterbringung von Flüchtlingen?
MJ: Die Flüchtlingswelle wird in der nächsten Zeit nicht abebben. Die Stadt sollte schon im Vorfeld neuer Flüchtlingszuweisungen Objekte ins Auge fassen, die für die Ad-Hoc-Aufnahme geeignet sind. Zudem muss man beim Land Druck ausüben, dass die Asylverfahren schneller bearbeitet werden. Für Asylberechtigte brauchen wir eine intensivere sprachliche Betreuung.
US: Minden ist ein Leuchtturm und Vorbild bei der Integration von Flüchtlingen. Die Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien sind hervorragend aufgenommen worden: Es wurden Wohnungen angemietet, die Flüchtlinge wurden in Familien untergebracht, die Kinder in Schulklassen integriert. Klar ist aber auch: Die Kommunen in NRW müssen viel alleine stemmen und brauchen größere finanzielle Unterstützung von der Landesregierung.
MB: Der behördliche Ablauf muss beschleunigt werden. Flüchtlinge, die nicht anerkannt werden, müssen schneller zurück in ihre Heimatländer. Ein verantwortlicher Bürgermeister sollte auch nicht alles schönreden – man darf keine weiteren Flüchtlinge anlocken und muss aufpassen vor neuen Flüchtlingsströmen.
US: Herr Beier, die Flüchtlinge fliehen vor dem Krieg, aus purer Not. Sie werden nicht angelockt.
Die Obermarktpassage, das ehemalige Wehmeyer-Gebäude, die Bäckerstraße: Mindens Innenstadt beherbergt viele ‚Problemkinder‘. Wie wollen Sie die Attraktivität der Innenstadt erhöhen?
MJ: Wir brauchen eine attraktive Innenstadt und attraktive Arbeitsplätze. Mir fehlt in Minden ein wenig Flair, auch im Nicht-Konsum-Bereich. Wir brauchen mehr Kunst und Kultur. Man könnte zum Beispiel einen Ideenwettbewerb an der FH ausschreiben, wie man unattraktive Leerstände in der Bäckerstraße künstlerisch aufpeppt. Für Kulturprojekte würden sich sicher Investoren finden lassen.
US: Die Probleme in der Innenstadt sind augenfällig. Wir hatten vor 20 Jahren ein funktionierendes Karstadt, eine funktionierende Obermarktpassage. Als Bürgermeister würde ich in allen Fällen das konkrete Gespräch mit den Besitzern und Investoren suchen. Im Wehmeyer-Gebäude könnte ich mir eine Kunsthalle vorstellen, oder eine Diskothek. Die Obermarktpassage wäre gut geeignet für ein Kino, auch aufgrund ihrer günstigen Verkehrsanbindung mit dem ZOB.
JS: Ein Kino in der Obermarktpassage ist nicht machbar, Herr Stadtmann. Das Objekt ist stark sanierungsbedürftig – die Tiefgarage ist in einem desaströsen Zustand.
US: Für die Obermarktpassage gab es ja bereits ein tragfähiges und vielversprechendes Konzept. Leider ist der Obermarktpassagen-Eigentümer Secur mitten in der Bauphase pleite gegangen.
MJ: Die Obermarktpassage ist eine Idee aus den 80ern und wird aus meiner Sicht nie wieder zu zu einem Handelsobjekt werden. Vielleicht muss man hier andere städtebauliche Alternativen in Erwägung ziehen.
MB: Als Bürgermeister würde ich den Investoren Planungssicherheit garantieren, erst dann werden Objekte wie die Obermarktpassage weiterentwickelt. Meiner Meinung nach ist eine funktionierende Obermarktpassage notwendig für eine große, attraktive Fußgängerpassage. CDU und SPD sind schuld am Stillstand in der Innenstadt.
Investitionen in die Innenstadt sind auch abhängig von einem gesunden Haushalt. Die Stadt sitzt auf einem Schuldenberg von 136,3 Millionen Euro. Ist Minden überhaupt handlungsfähig?
MJ: Die Stadt hat hohe Schulden, ist aber nicht handlungsunfähig. Der Haushaltsentwurf für 2016 bietet eine reelle Chance auf eine schwarze Null. Ich sage aber auch ganz ehrlich: Steuererhöhungen kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausschließen. Bietet sich eine Alternative zu Steuererhöhungen, wäre ich aber der Erste, der diese Alternative auch ergreift.
US: Für 2016 ist der ausgeglichene Haushalt, die schwarze Null, gesetzlich vorgegeben für Minden. In der aktuellen Situation, wo es der heimischen Wirtschaft gut geht und die Steuereinnahmen hoch sind, muss es Bürgermeister Michael Buhre möglich sein, einen ausgeglichenen Haushalt auf den Tisch legen zu können. Für mögliche Steuererhöhungen sehe ich keine Mehrheit im Rat. Ein neuer Bürgermeister muss zusammen mit dem Rat Alternativen zu Steuererhöhungen erarbeiten. Auf langfristige Sicht sollte Minden das Gespräch mit seinen Nachbarkommunen suchen, um durch gemeinsame Verwaltungseinheiten Kosten einzusparen.
MB: Ich möchte einen langfristigen Blick auf die Finanzsituation der Stadt richten. Das Projekt Westfalen-Arena würde dauerhaft hohe Einnahmen generieren. Genauso wie die Ansiedlung eines Großunternehmens am Regioport.
MJ: Aber das hilft doch dem Haushalt 2016 nicht, Herr Beier.
JS: Aus den Schulden ergeben sich alle Probleme der Stadt, Minden ist dicht an der Handlungsunfähigkeit. Momentan liegen die globalen Leitzinsen fast bei Null. Sollten diese wieder ansteigen, explodieren die Schulden. Das ginge über Nacht.
MJ: Herr Schnake, sagen Sie doch bitte jetzt mal ganz genau: Was wollen Sie mit dem Haushalt in den nächsten fünf Jahren machen, wenn Sie Bürgermeister sind?
JS: Ich habe zwei Lösungsstrategien: Erst einmal wird Minden zur kreisfreien Stadt und spart die Kreisumlage. Zweitens würde ich mit den Banken knallhart über einen Schuldenschnitt verhandeln, um eine Anschubfinanzierung zu gewährleisten. Die Verwaltung sollte die Rücklagen der Banken nutzen dürfen!
MJ: Das ist unseriös! Es handelt sich nicht um das Geld der Stadt, sondern um die Spareinlagen der Bürger. Privates Geld darf nicht in den Stadthaushalt fließen. Geht man an das Eigenkapital der Banken, reitet man diese in die Pleite.
JS: Wenn so weiter gemacht wird wie bisher, steht man in fünf Jahren genauso da wie jetzt. Aber wenn Sie sich Wege abschneiden wollen, dann tun Sie das…
US: Ein Schuldenschnitt ist eine Seifenblase, Herr Schnake! Das ist allein rein rechtlich nicht möglich, da das Land für die Schulden haftet und nicht die Kommune.
MB: Eine Kommune ist dem Land untergeordnet und darf sich nicht einfach bankrott erklären. Eine Kommune, die Banken damit droht die Kredite nicht zurückzuzahlen – das wäre ein unglaublicher Vertrauensbruch.
Der Regioport wird kontrovers diskutiert. Die Stadt Porta sieht an der B482 große Verkehrsprobleme auf sich zukommen und erwägt eine Normenkontrollklage. Welche Lösungsansätze verfolgen Sie, damit das Verhältnis zwischen Minden und Porta keinen dauerhaften Schaden nimmt?
MJ: Man kann nur auf Gespräche mit Porta setzen. Zum Portaner Bürgermeister Bernd Hedtmann pflege ich ein gutes Verhältnis, daher rechne ich mit keiner Normenkontrollklage. Das Verkehrsaufkommen wird zwar steigen, aber Minden und Porta liegen in ihren Positionen nicht so weit auseinander, als dass man da keine Lösung finden könnte. Es gibt ja auch Pläne, die B482 langfristig auszubauen.
US: Aktuell entsteht der Eindruck, Minden und Porta träfen sich nur noch vor Gericht. Dabei könnten die beiden Städte besser kooperieren und von Synergie-Effekten profitieren. Ich glaube der Verkehr wird nicht sofort im befürchteten Maße zunehmen. Trotzdem sollte die B482 verkehrssicherer gemacht werden und vierspurig ausgebaut werden.
JS: Mit Porta kann man immer reden. Ich gehe sogar so weit, dass ich mich freuen würde, wenn es zu Zwistigkeiten zwischen den beiden Städten käme. Denn dies würde im Umkehrschluss bedeuten, dass der Regioport floriert. Das größere Problem wäre doch, wenn der Regioport nicht funktioniert und Minden vor einem Millionengrab stünde.
MB: Ich halte die Befürchtungen der Portaner für überzogen. Doch es wäre hilfreich, wenn die Mindener Politiker sich klipp und klar dazu bekennen würden, dass die dritte Ausbaustufe des Regioports nur auf dem Papier existiert. Der Regioport wird meiner Meinung nach nicht so viel Umsatz machen wie geplant und somit kleiner ausfallen als Porta befürchtet.
Zum Abschluss noch ganz kurz: Mindens Bürger sollten Sie zum Bürgermeister wählen, weil … ?
JS: … alle meine drei Konkurrenten nur ein ‚Weiter so‘ anbieten. Und dieses ‚Weiter so‘ ist ein ‚Weiter bergab‘.
US: … ein Bürgermeister Mehrheiten organisieren muss, um handlungsfähig zu sein. Und dank des Rückhalts des breiten Bündnisses kann ich diese Mehrheiten organisieren.
MJ: … ich etwas bewegen möchte in Minden. Und ich bringe genügend Erfahrungen aus meinem Berufsleben und meinen ehrenamtlichen Tätigkeiten mit, um Mehrheiten im Rat zu bekommen.
MB: … ich mein volles Engagement für eine öffentlich betriebene Westfalen-Arena und eine Werksansiedlung am Regioport einbringen werde.
Meine Herren, ich danke Ihnen für das Gespräch.