Neues Pflegestärkungsgesetz ab 2017

Neues Pflegestärkungsgesetz ab 2017

Vieles ändert sich – vieles verbessert sich?

Mit dem Pflegestärkungsgesetz II wurde eine neue Grundlage für die Versorgung kranker und alter Menschen geschaffen. Das Gesetz, welches im November 2015 verabschiedet wurde, trat zum ersten Januar 2016 in Kraft und wirkt zum ersten Januar 2017. Besonders profitieren werden Demenzkranke und psychisch Kranke, die ab 2017 einen besseren Zugang zur Pflege bekommen.
Doch wie ergeht es der stationären Pflege, den ambulanten Pflegediensten und vor allem dem Pflegepersonal? Schafft das neue Gesetz wirklich für ALLE nur Vorteile?

Was ändert sich?

Das neue Pflegegesetz stärkt vor allem die Leistungen für Demenzkranke, das heißt ab 2017 werden keine Unterschiede mehr zwischen geistig und körperlich eingeschränkten Menschen gemacht. Dann wird ein neues Begutachtungsverfahren den Grad der Selbstständigkeit ermitteln. Auch wird es anstatt der gewohnten drei Pflegestufen im nächsten Jahr fünf Pflegegrade geben. Der Pflegegrad eins ist neu im System, mit der Pflegestufe Null nicht vergleichbar. Mit dem neuen Pflegegrad werden Leistungen zur Verfügung gestellt, die mittelfristig bis 500.000 Menschen zusätzlich erstmals in die Pflege bringen. Alle, die bereits als pflegebedürftig eingestuft wurden, werden automatisch per Gesetz in das neue System übergeleitet. Angehörige und Pflegebedürftige haben aufgrund der Komplexität des neuen Gesetzes ein Recht auf eine professionelle Beratung, die laut Experten auch genutzt werden sollte. „Für Minden bedeutet das neue Gesetz, dass die Pflegedienste vor Ort stärker nachgefragt werden“, schlussfolgert Michael Roy, Fachbereichsleiter der Altenpflege der Diakoniestiftung Salem in Minden.

Bessere Leistungen, zu wenig Personal, zu starre Regeln

„Sowohl das neue Begutachtungsassessment (NBA) als auch die Umstellung der Pflegestufen in Pflegegrade wird überwiegend von den Anbietern von Pflegeleistungen begrüßt. Wir hoffen damit eine deutlich ‚gerechtere‘ Einstufungspraxis zu erhalten. Weiterhin wurden auch die Leistungen an sich deutlich ausgeweitet, so dass es jetzt möglich ist, dort Hilfe zu leisten, wo sie notwendig ist“, fasst Marc Lapanske, Inhaber eines ambulanten Pflegedienstes aus Petershagen, die Vorteile des neuen Gesetzes zusammen. Doch warnt er auch, dass wenn deutlich mehr Menschen Leistungen beziehen werden, die Summe der Leistungen deutlich steigen wird: „Dies ist positiv für die Pflegebedürftigen, aber es sei die Frage erlaubt, wer in Zeiten der Personalnot in der Pflege diese Leistungen erbringen soll? 
Viele Pflegedienste sind schon heute an ihren Kapazitätsgrenzen angelangt.

Werden Pflegeleistungserbringer dann Kunden ablehnen oder Leistungen nur eingeschränkt erbringen?“ Hartmut Emme von der Ahe weist darauf hin, dass in der Tagespflege bereits eine Personalaufstockung geplant sei. Auf eine Tagespflegeeinrichtung mit zwölf Plätzen seien zum Beispiel 0,4 neue Stellen geplant. „Die Versicherten bekommen mehr Leistungen, also müssen die Anbieter auch mehr Personal einstellen“, kommentiert der Teamleiter der Zentren für Pflegeberatung des Kreises Minden-Lübbecke das neue Gesetz. Als positive Entwicklung fügt er weiter hinzu, dass Bedürftige ab 2017 meist höhere Ansprüche an die Kasse hätten. Für diejenigen, die das nicht gelte, bestehe ein lebenslanger Bestandsschutz – heißt im Umkehrschluss: Niemand kommt zukünftig schlechter weg als heute. Wirklich Niemand?

Michael Roy sieht das anders: „Man sollte abwarten, ob der Bestandsschutz auch so eintritt. Fest steht aber, dass die, die ab dem ersten Januar 2017 als pflegebedürftig eingestuft werden, weniger bekommen.“ Heute bekomme man für die Pflegestufe eins etwa 1000 Euro im Monat, Neuzugänge bekämen künftig aber nur noch 700 Euro für die gleiche Bedürftigkeit. Auch zum Personalmangel äußert sich der Fachmann kritisch: „Der Personalmangel wird mit dem neuen Gesetz nicht behoben, weil es nicht genügend ausgebildete und qualifizierte Pflegekräfte gibt.“ Brigitte Wachmeister (Name geändert) aus Porta Westfalica und tätig in der ambulanten Pflege, kritisiert ebenfalls die vorherrschenden Zustände: „Von den Kassen werden zu starre Zeitspannen für Pflegeleistungen festgelegt. Zum Beispiel darf eine Wundverpflegung nicht länger als 30 Minuten dauern. Bei einem Patient braucht man für die Leistung 15 Minuten, beim nächsten eine Stunde.“ Zwar gibt sie zu bedenken, dass in der ambulanten Pflege noch flexibler auf den Patienten eingegangen werden könne als in der stationären, trotzdem seien die Regeln zu starr und ein Personal- und Zeitmangel herrsche auch in der ambulanten Pflege vor.

Jens Ortmann, Geschwerksschaftssekretär der ver.di Minden, sieht das Personalproblem in der Pflege noch viel kritischer: „Die Arbeit in der Altenpflege ist sehr belastend. Die Dienst- und Schichtpläne bieten keine Verlässlichkeit, so dass Familie und Beruf schwer vereinbar sind.“ Teilzeitjobs seien zudem normale Anforderungen eines Arbeitgebers, da dadurch mehr Personal mit flexibleren Zeiten zur Verfügung stünde. Die Auswirkungen seien allerdings verheerend: „Viele Arbeitnehmer fragen sich, wie sie noch bis zum Rentenalter durchhalten sollen.“ In Teilzeitverträgen seien viele Überstunden der Normalzustand, zahlten sich monetär aber nicht aus. Durch die schlechte Bezahlung und Unterbesetzung fehle die Wertschätzung der Arbeitnehmer, was auf lange Sicht zu Krankheit oder Jobaufgabe führe. Daher fordert die ver.di ganz klar eine bessere Entlohnung und einen deutschlandweit einheitlichen Personalschlüssel. „Das käme auch den Heimbewohnern zu Gute, da Heime dann über Qualität und nicht über den Preis konkurrieren müssten“, schlussfolgert Ortmann.